"Woher kommst du wirklich?"
Wie oft hast du die Frage "Woher kommst du wirklich?" schon gehört oder selbst gestellt? Die Frage wird oft leichtfertig gestellt, als wäre sie ein einfacher Eisbrecher. In einer Gesellschaft, in der selbst unter besten Freunden nicht nach dem Gehalt gefragt wird, scheint es erstaunlich, dass die Frage nach der "Herkunft" als so banal angesehen wird.
Sie ist weit mehr als eine neugierige oder beiläufige Frage. Sie öffnet eine Tür zu einem Labyrinth aus emotionalen Erfahrungen, impliziten Annahmen und tief verankerten Stereotypen. Dahinter können sich komplexe und intime Lebensgeschichten verbergen, die ebenso Traumas, Schmerzen, Ängste und Sorgen enthalten können.
Im Podcast "Woher kommst du wirklich" werden genau die Menschen zu Wort kommen, denen diese Frage regelmäßig gestellt wird – sei es wegen ihres Aussehens oder ihres "anders" klingenden Namens.
Doch entgegen dem, was der Titel vermuten lässt, geht es in diesem Podcast nicht um die Herkunft meiner Gäste.
Stattdessen sprechen wir über das, was wirklich zählt: die einzigartigen, komplexen und emotionalen Geschichten der Menschen.
Ich folge in meinem Podcast keinem Skript, und es gibt keine vordefinierten Fragen. Mein Gast und ich öffnen unsere Herzen und Emotionen und gehen auf eine Entdeckungsreise durch unsere Vergangenheit und Erfahrungen.
"Woher kommst du wirklich?"
Episode 19: Identität jenseits von religiösen und nationalen Etiketten - Persönliche Bindungen statt Herkunft // mit Nadja Bouya
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"Wenn man jemanden fragt, wo er herkommt, dann akzeptiere doch, wenn er sagt, ich bin aus Lübeck oder ich bin Franzose oder ich bin sonst was. Und bohre dann nicht weiter nach." Das sagt Nadja in der neuesten Episode und bringt eine essenzielle Botschaft unseres Gesprächs auf den Punkt: die Akzeptanz der selbstdefinierten Identität ohne Nachhaken oder Infragestellen.
Nadja ist in Lübeck geboren und aufgewachsen, ihr Vater ist Muslim und ihre Mutter ist Christin, ihre Muttersprache ist Deutsch. Sie hat das typisch norddeutsche Leben geführt mit Traditionen wie Laternenlaufen und Nikolaus. Doch ihr Deutschsein wurde oft aufgrund ihres Aussehens infrage gestellt.
Sie spricht über die unangenehmen Situationen, die mit der Frage nach der „wirklichen“ Herkunft verbunden sind. Diese Frage wurde häufig in unpassenden Momenten gestellt, wie bei Vorstellungsgesprächen oder Wohnungsbesichtigungen. Sie erzählte von einer Begebenheit in Heidelberg, wo eine Vermieterin hartnäckig nach ihren „wirklichen“ Wurzeln fragte, obwohl Nadja wiederholt betonte, dass sie aus Lübeck stammt.
Im Vergleich dazu schilderte Nadja ihre Erfahrungen in Kanada, wo sie vor 1,5 Jahren mit ihrer Familie ausgewandert ist, einem Land, das sich als Mosaik verschiedener Kulturen versteht.
Ihre Familie, die sie liebevoll als „United Nations“ bezeichnet, spiegelt ihre vielfältigen Wurzeln wider: ein Viertel palästinensisch, ein Viertel deutsch und halb marokkanisch. Doch ihre Kinder, die in Frankfurt aufwuchsen und die französische Staatsbürgerschaft besitzen, identifizieren sich hauptsächlich als Deutsche und Frankfurter.
Nadja ist eine gläubige Muslima und betont die Bedeutung von universellen Werten wie Ehrlichkeit, Respekt und Hilfsbereitschaft, die sowohl im Islam als auch im Christentum zentral sind. Sie vermittelt diese Werte auch ihren Kindern und schafft so eine Brücke zwischen den Kulturen und Religionen ihrer Eltern.
Ein anderes Thema unseres Gesprächs ist, wie stark persönliche Beziehungen die Übernahme kultureller Identität beeinflussen. Nadja lernte zum Beispiel Arabisch nicht von ihrem palästinensischen Vater, sondern von ihrer algerischen Stiefmutter, zu der sie eine enge Beziehung hatte und sich mit ihr identifizierte. Diese Erfahrung unterstreicht, dass kulturelle Identität und Sprachkenntnisse oft mehr durch persönliche Bindungen als durch biologische Abstammung geprägt werden.
Besonders bewegend ist Nadjas Geschichte über den Verlust ihrer leiblichen deutschen Mutter und die Herausforderungen, die dieser Verlust mit sich brachte. Trotz ihres norddeutschen Aufwachsens wurde ihr oft das Deutschsein abgesprochen, was sie als besonders schmerzhaft empfindet, weil es auch die Verbindung zu ihrer Mutter ist.
Diese Episode zeigt eindrucksvoll, wie Nadjas Erfahrungen und Einsichten uns daran erinnern, dass Zugehörigkeit und Identität viel mehr sind als nur nationale oder religiöse Etiketten und wie wichtig es ist, Menschen in ihrer Gesamtheit zu sehen und ihre selbstdefinierte Identität zu respektieren.
Mehr über Nadja:
Nadja i
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Musik & Postproduktion:
Joscha Grunewald